Komfortzone kontra Entdeckerfreude: Warum uns Veränderungen oft schwerfallen

von Edda Gehrmann

(25. Februar 2020) Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Mit diesem Satz entschuldigen wir nicht selten eine gewisse Schwerfälligkeit, wenn es um Veränderungen in unserem Leben geht. Und ist es nicht auch so? Der Großteil unseres Alltags besteht aus Gewohnheiten, erlerntem Verhalten also, das wir so oft wiederholt haben, bis es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Es fängt mit dem morgendlichen Aufstehen und Zähneputzen an und endet mit den abendlichen Reinigungsritualen vor dem Zubettgehen. Dazwischen liegen hunderte automatisierte Handlungen. Müssten wir über jede einzelne nachdenken, wäre die Bewältigung des Alltags ein permanenter Kraftakt. Autofahren zum Beispiel. In der Fahrschule kostet es noch enorme Anstrengung, zwischen kuppeln und Gas geben, lenken und blinken, diversen Schildern und anderen Verkehrsteilnehmern nicht den Überblick zu verlieren. Doch dann, eines Tages, läuft alles wie am Schnürchen. Während wir fleißig fahren geübt haben, hat unser Gehirn – einfach ausgedrückt – eine neue Straße gebaut. Indem wir wieder und wieder unsere Lektionen lernten und ins Auto stiegen, entstand eine neue Verbindung im Gehirn, die immer stabiler wurde. Wir benötigen zwar weiterhin die Aufmerksamkeit für das aktuelle Verkehrsgeschehen, denken aber nicht ständig darüber nach, wie wir das Fahrzeug steuern.

Langeweile mag eigentlich keiner

Nach diesem Muster lernen wir – egal ob laufen, sprechen, Zähne putzen. Unser Denkorgan ist kein fertiges, sondern ein flexibles Gebilde, das sich mit der Art, wie wir es benutzen, beeinflussen lässt. Fachleute nennen die Fähigkeit des Gehirns, sich lebenslang neu zu „verdrahten“, Neuroplastizität. Der Schlüssel liegt in der Wiederholung. Je öfter wir das Gleiche denken und tun, desto müheloser benutzen wir den entsprechenden Weg dafür im Gehirn. Wir fahren ihn quasi ein. Gewohnheitstiere also? Irgendwie schon. Aber wir sind eine Spezies, die darauf angelegt ist, sich fortlaufend neue Gewohnheiten – sprich: Fähigkeiten – zu erschaffen und sich auf diese Weise weiterzuentwickeln. Dabei greifen viele Faktoren ineinander.

„In unserem Gehirn ist das Explorationsverhalten angelegt, um die Umwelt zu erkunden. Neues wird als anregend empfunden und ein wohldosiertes Maß an Anregung fördert die Wohlfühlhormone. Das gilt für die allermeisten Menschen, bei dem einen ist es mehr, bei dem anderen weniger ausgeprägt“, erklärt der Psychiater und Neurologe Professor Dr. med. Bernhard Bogerts, Leiter des Salus-Institutes. Die Mehrzahl der Menschen sei  Abwechslung gegenüber aufgeschlossen und habe beispielsweise das Bedürfnis, neue Leute kennenzulernen, ins Theater zu gehen oder sich auf andere Art anzuregen. „Langeweile mag eigentlich keiner.“

Veränderung bedeutet Unsicherheit

Trotzdem: Tauchen Veränderungswünsche auf, entweder in uns selbst oder als Impulse von außen, wackelt die Komfortzone. „Veränderung bedeutet auch Unsicherheit“, sagt Prof. Bogerts, „es kann gutgehen oder schlechter werden.“ Er nennt eingeschliffene Verhaltenshierarchien, eine gewisse Bequemlichkeit und die Sorge, in negativen Stress zu geraten, als Hindernisse, um mit neuen Herausforderungen leichtfüßig umzugehen. Und es ist mit Aufwand verbunden, unbekanntes Terrain zu betreten. Deshalb braucht es dafür gute Gründe und Beharrlichkeit. „Ob jemand Veränderungen gegenüber aufgeschlossen ist, hängt ganz von den Grundzügen seiner Persönlichkeit ab“, so Prof. Bogerts. Ein nicht unerheblicher Teil davon sei anlagebedingt: „Etwa 40 bis 50 Prozent der Mentalität der Eltern bekommen wir von vornherein mit“. Auch frühe Lebenserfahrungen würden beeinflussen, ob Kinder später zu entdeckungsfreudigen oder eher ängstlichen Menschen heranwachsen. Stress- und Angstsituationen zum Beispiel, Scheidung, Flucht, zu wenig Zuwendung aber auch Überbehütung können sich negativ auswirken.

An sich zu arbeiten, bringt immer etwas

Nun können wir weder unsere Gene noch unsere Biografien austauschen, aber neue Verhaltensweisen trainieren. Prof. Bogerts: „An sich zu arbeiten, bringt immer etwas.“ Als Arzt hat er auch mit Menschen zu tun, denen Veränderungen aus gesundheitlichen Gründen schwerfallen oder Angst machen. Sind bestimmte Hormone bzw. Botenstoffe im Gehirn, hauptsächlich Serotonin, Dopamin und Oxytocin, nicht ausreichend vorhanden, könnten krankhafte Störungen entstehen und die inneren Antriebskräfte behindern. Depressive beispielsweise würden von vorherein den Blick auf negative Folgen richten. Ein gelingender Umschwung brauche jedoch ein gewisses Vorstellungsvermögen, wie etwas sein kann und dass es danach besser ist.

„Bei krankhaften Störungen ist die kognitive Verhaltenstherapie eine sehr erfolgreiche Richtung. Elemente davon lassen sich aber auch anwenden, wenn gesunde Menschen Schwierigkeiten haben, als wichtig erkannte Veränderungen auf den Weg zu bringen“, sagt Prof. Bogerts. Er empfiehlt, zunächst die eigenen Denkmechanismen zu überprüfen, zu analysieren, wo die persönlichen Hindernisse liegen und dann ein Stufenprogramm aufzustellen.

Ich krieg das hin!

Wichtig dabei: Ziele genau formulieren, Etappenziele einbauen und Erfolgserlebnisse schaffen. Dann hält uns das hirneigene Belohnungssystem mit positiven Gefühlen bei der Stange. Wer sich beispielsweise mehr bewegen möchte, plant wohldosiert seine Übungen, ausgehend von seiner persönlichen Fitness und seinen Vorlieben. Wenn Laufen oder Fitness-Studio nämlich keinen Spaß machen, siegt relativ bald wieder die Bequemlichkeit. Vielleicht genügt es anfangs auch, im Alltag bestimmte Strecken zu Fuß zu gehen.  „Finden Sie Ihren optimalen Aktivierungsbereich heraus, der Wohlbefinden signalisiert“, rät Prof. Bogerts. Und wer sich mit Gleichgesinnten verabredet oder sich Rat und Ermutigung von Familie und Freund*innen holt, hat bessere Chancen durchzuhalten.

Ein häufiger Fehlschluss ist, dass Rückschläge bei der Umsetzung von Vorsätzen nicht als Teil des Weges und Möglichkeit zum Lernen, sondern als Scheitern interpretiert werden. Hemmende Glaubenssätze („Ich krieg das sowieso nicht hin. Ich bin eben wie ich bin“) tun das Ihre dazu. Auch wenn die selbst gestellten Aufgaben nicht gleich beim ersten oder zweiten Mal klappen – dranbleiben lohnt sich!

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