(25. Januar 2017) Barcelona, Manchester, Berlin, Nizza, Brüssel, Ankara, Istanbul, Paris, London, Stockholm: Alarmierende Nachrichten über Terroranschläge und gewaltbereite Extremist*innen in Europa haben die Sorgen der Deutschen auf Spitzenwerte getrieben. Laut repräsentativer Umfrage der R+V-Versicherung zu den "Ängsten der Deutschen 2017" fürchten sich über 70 Prozent vor Terror. Er steht damit auf Platz 1 der wahrgenommenen Bedrohungen, gefolgt von politischem Extremismus (62 Prozent). Vor allem die Willkür und Unberechenbarkeit der Anschläge beunruhigt viele Menschen: Jeden kann es treffen. Nirgendwo scheint man mehr sicher zu sein. Zwar ist es nicht weniger schlimm, wenn in Syrien, im Irak oder in Nigeria viele Menschen sterben. Dennoch bietet zumindest die geografische Entfernung einen gewissen emotionalen Schutz. Längst schon ist der Terror in Europa und im eigenen Land angekommen. Wie können wir mit dieser Verunsicherung umgehen und normal weiterleben? Was tun, wenn die Angst beherrschend wird?
„Prinzipiell ist das Gefühl der Angst überlebensnotwendig: Es signalisiert uns Gefahren, warnt und versetzt uns dadurch in die Lage, sinnvoll zu reagieren,“ erklärt Dr. Jewgenij Wolfowski, Chefarzt der Uchtspringer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Das betreffe zum einen die sofortige Reaktion auf akute Bedrohungen, wie zum Beispiel das reflexartige Ausweichen vor einem heranbrausenden Auto. Zum anderen sei das Angstempfinden auch ein wichtiger Navigator, um bei real bestehenden Risiken vorsichtig zu sein und abzuwägen: Wie weit wage ich mich hinaus? „Diese Grenze muss jeder Mensch für sich selbst finden - der eine ist ängstlicher, der andere risikofreudiger. Nie verkehrt ist es, Vernunft und Vorsicht walten zu lassen: Wenn Sicherheitsdienste vor Terroranschlägen in einem Land oder in bestimmten Touristenzentren warnen, ist es sehr vernünftig, nicht dorthin zu fahren.“
Gefahren auf ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen, ist aus Sicht von Dr. Wolfowski generell ein guter Weg für den Umgang mit angstvollen Empfindungen: „Eine klare Analyse ist besser als das ständige Grübeln darüber, was im Hier und Jetzt alles passieren könnte.“ Genau hier liege bei den Terroranschlägen, von denen Menschen wie aus heiterem Himmel und willkürlich getroffen wurden, aber auch das Problem: „Es gibt keine Möglichkeit, die Gefahr im Vorfeld zu erkennen und eine Risikoabwägung vorzunehmen.“ Das Unbehagen und die diffuse Furcht vieler Menschen vor öffentlichen Plätzen und Ansammlungen sei daher nachvollziehbar. „Wir dürfen uns davon aber nicht beherrschen lassen. Es wäre falsch, sich zu verkriechen“, meint der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. „Stattdessen gilt es, die feine Balance zwischen realer Gefahr, eigenem Empfinden und Vorsicht zu suchen – nicht als Einschränkung unseres Lebens, sondern als Ergänzung.“ Ob dafür die maximale Auseinandersetzung mit den Ereignissen hilfreich sei oder stattdessen der bewusste Rückzug von der medialen Bilderflut, könne individuell unterschiedlich sein. „Man merkt schon, womit man besser zurechtkommt. Wichtig ist, sich immer wieder klarzumachen: Die Wahrscheinlichkeit, von einem solchen Anschlag betroffen zu sein, ist äußerst gering, sehr viel geringer als die eines Verkehrsunfalls.“
Besondere Wachsamkeit ist nach Einschätzung von Dr. Wolfowski geboten, wenn die Angst sich verselbständigt und unangemessen so in den Vordergrund drängt, dass die Lebensqualität in vielen Bereichen stark bedroht ist. „Dann kann eine Angststörung vorliegen. Die Betroffenen ziehen sich beispielsweise aus dem Alltag, aus bestimmten Situationen oder von bestimmten Orten völlig zurück“, verweist der Facharzt auf typische Verhaltensmuster. Viele Patient*innen leiden zugleich unter schlechtem Schlaf sowie unter körperlichen Beschwerden wie Herzrasen, Kopfschmerzen oder Schweißausbrüchen. „Wenn die Dauer und Häufigkeit von Angstzuständen zunehmen, man sie aus eigener Kraft kaum überwinden kann und die Lebensumstände eigentlich gar keinen Anlass dafür bieten, sollte man Hilfe suchen“, erklärt Dr. Wolfowski. Erste*r Ansprechpartner*in sei in solchen Fällen stets der*die ambulant behandelnde Haus- oder Fachärzt*in, der*die über therapeutische Möglichkeiten beraten könne. Die Erfahrung zeige, dass in vielen Fällen vor allem eine Verhaltenstherapie hilfreich sei, bei der die Bewältigung Angst auslösender Situationen gezielt trainiert wird. Betroffene Menschen in der Altmark können dabei u.a. auf die Angebote im Salus-Fachklinikum Uchtspringe sowie in den dazugehörigen Institutsambulanzen und Tageskliniken Salzwedel, Seehausen und Stendal zurückgreifen.
Zu den Angststörungen gehören u.a. die Agoraphobie (Platzangst), die soziale Phobie (extreme Schüchternheit mit Angst vor dem Umgang mit anderen Menschen) oder panische Ängste, die ohne reale Gefahr plötzlich und episodisch wie aus heiterem Himmel auftreten. Häufig anzutreffen ist auch die generalisierte Angststörung, bei der ganz normale Unsicherheiten des Lebens als gewaltige Bedrohung wahrgenommen werden.
Angststörungen gehören neben den Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Rund 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden darunter. Unbehandelt wird die Störung oft chronisch und schränkt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für weitere psychische Erkrankungen wie Depression oder Sucht.