Bulimie (Bulimia nervosa)

Bulimie gehört wie Magersucht und Binge Eating zu den Essstörungen. Die Grenzen zwischen ihnen sind häufig fließend, vor allem Magersucht und Bulimie liegen dicht beieinander. Charakteristisch für diese Erkrankungen ist der zwanghafte Umgang mit Nahrung aufgrund seelischer Nöte. Dadurch können schwere gesundheitliche Schäden entstehen. Weil Seele (Psyche) und Körper (Soma) beteiligt sind, sprechen Fachleute von psychosomatischen Erkrankungen. Die umgangssprachliche Bezeichnung für Bulimie ist Ess-Brech-Sucht. Die Betroffenen leiden unter Heißhungerattacken, bei denen sie in kurzer Zeit sehr viel und sehr kalorienreich essen. Nach dem Anfall versuchen sie ihren Kontrollverlust durch Erbrechen, Medikamentenmissbrauch (u. a. Abführmittel, entwässernde Medikamente), Hungerphasen und/oder unverhältnismäßig viel Sport rückgängig zu machen. Bulimie beginnt im Durchschnitt zwischen dem 18. und dem 35. Lebensjahr, kann jedoch auch schon während der Pubertät anfangen. 95 Prozent der Erkrankten sind Mädchen und Frauen.

Wichtigste Fragen zu Bulimie

  • Was sind die Anzeichen von Bulimie (Bulimia nervosa)?

    Bulimie wird von außen oft lange nicht bemerkt. Anders als Magersüchtige haben Menschen mit Ess-Brech-Sucht häufig ein normales Gewicht, leiden jedoch auch unter der krankhaften Furcht, dick zu werden. Sie verbergen ihre Probleme hinter einer perfekten Fassade, sind meist sehr gepflegt, ehrgeizig, schlank und sportlich. Mediziner sprechen von einer Bulimie, wenn die Essanfälle über einen Zeitraum von drei Monaten mindestens zweimal wöchentlich auftreten. In der Öffentlichkeit ernähren sich Bulimikerinnen sehr kontrolliert, vorwiegend von fettarmen und kalorienreduzierten Lebensmitteln. Äußerlich sichtbare Folgen von häufigem, selbst ausgelöstem Erbrechen können geschwollene Speicheldrüsen (sog. Hamsterbacken), Verletzungen im Bereich der Mundwinkel, Abschürfungen an Fingern und Handrücken sowie Schäden an den Zähnen sein. Auch hohe Gewichtsschwankungen innerhalb kurzer Zeit, die übertriebene Beschäftigung mit Essen und Körpergewicht, ungewöhnliche Essrituale, das Vermeiden von Essen in Gemeinschaft, das Aufsuchen der Toilette direkt nach den Mahlzeiten und das Horten von leicht verzehrbaren Lebensmitteln deuten möglicherweise auf eine Bulimie hin.

  • Was sind die Ursachen von Bulimie (Bulimia nervosa)?

    Bei einer Bulimie-Erkrankung kommen gesellschaftliche, biologische und psychologische Faktoren zusammen. Sie wirken sich je nach Person und Lebenssituation unterschiedlich stark aus. Menschen mit einem tiefen Mangel an Selbstwertgefühl, die ihre Bedürfnisse nicht äußern können, zu Perfektionismus und leistungsorientiertem Denken neigen sind besonders gefährdet. Ein Teil der Betroffenen fällt durch ausgeprägte Impulsivität auf. Familiäre Faktoren, zum Beispiel eine Essstörung bei einem anderen Familienmitglied, Lernerfahrungen im sozialen Umfeld, gesellschaftlicher Druck wie das allseits präsente Schlankheitsideal und lebensgeschichtliche Ereignisse können das Entstehen der Krankheit begünstigen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass eine gewisse Anfälligkeit für eine Essstörung auch in den Genen liegt. Bei Patienten mit den entsprechenden Voraussetzungen sind sehr häufig Diäten der Einstieg in die Bulimie.

  • Wie wird Bulimie (Bulimia nervosa) diagnostiziert?

    Die Diagnostik von Essstörungen gehört in die Hände von Fachärzten und Psychologen . Im ausführlichen Gespräch mit der Betroffenen wird z. B. nach Symptomen, der Entwicklung von auffälligem Essverhalten, der aktuellen Ernährung und Trinkmenge, dem Wunschgewicht, Methoden zum Abnehmen, Leistungsverhalten und der gegenwärtigen Lebenssituation gefragt. Auch Begleiterscheinungen wie Depressionen, Ängste und Zwänge spielen eine Rolle. Einige körperliche Untersuchungen sind nötig, um die Verfassung der Patientin festzustellen und andere Krankheiten als Ursache auszuschließen. Dabei werden u. a. Größe und Gewicht ermittelt, Puls und Blutdruck gemessen, die Zähne untersucht und Blut abgenommen. Menschen mit Ess-Brech-Sucht fällt es vor allem aus Scham sehr schwer, über ihre Krankheit zu sprechen. Eine Vertrauensperson kann im Gespräch seelische Stütze sein und mit ihren Beobachtungen aus dem Alltag dazu beitragen, Art und Schwere der Essstörung zu bestimmen.

  • Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

    Bei der Behandlung von Bulimie greifen Psychotherapie, spezielle Ernährungsberatung, die Behandlung der körperlichen Folgen und medizinische Kontrollen ineinander. Im Therapieplan für Jugendliche, die noch zu Hause wohnen, ist die Einbeziehung der Familie ein wichtiger Bestandteil. Entspannungsverfahren, Übungen zur Körperwahrnehmung oder Tanztherapie können unterstützend wirken. Ob ambulant, stationär oder in einer Tagesklinik am besten geholfen werden kann, hängt vom körperlichen und seelischen Zustand der Jugendlichen, vom Schweregrad der Essstörung und vom persönlichen Umfeld ab. Während der Therapie üben die Patientinnen schrittweise, sich wieder ausgewogen zu ernähren und arbeiten an ihren Ängsten, verzerrten Gefühlen und Gedanken. Je früher eine Behandlung anfängt, umso günstiger sind die Heilungschancen. Aber auch bei jahrelang andauernder Bulimie besteht noch Hoffnung auf Besserung oder Genesung.

  • Welche Folgen kann eine ausbleibende Behandlung haben?

    Je länger die Bulimie dauert, umso mehr verfestigen sich die Muster des gestörten Essverhaltens. Das kann sich auf den gesamten Stoffwechsel und alle Organe auswirken. Wie schwer der Körper Schaden nimmt, hängt von der Anzahl der Essattacken und von den Gegenmaßnahmen der Erkrankten ab. Besonders gefährlich ist ein drastischer Mangel an Blutsalzen, insbesondere an Kalium und Natrium. Er entsteht durch starken Flüssigkeitsverlust beim Erbrechen sowie den Missbrauch entwässernder Medikamente und kann lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen. Der Raubbau am Körper kann außerdem zu Kreislaufproblemen, Nierenschäden, Magen-Darm-Störungen, Knochenabbau (Osteoporose), einem gestörten Hormonhaushalt, Schäden an den Zähnen, Entzündungen der Speiseröhre sowie einer herabgesetzten Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit führen. Das Doppelleben zwischen der perfekten Fassade und den stark schambesetzten Essattacken zehrt an den seelischen Kräften und zieht häufig soziale Isolation, Angst- und Zwangsstörungen, Selbsthass und Depressionen nach sich. Für 0,5 bis 1 Prozent der Betroffenen endet die Bulimie tödlich, das Suizidrisiko ist sehr hoch.

  • Wie kann man als Angehöriger die Behandlung unterstützen?

    Eltern von essgestörten Kindern und Jugendlichen brauchen sehr viel Geduld. Mangelnde Krankheitseinsicht und Leugnen sind Teil der Störung, Druck und Zwang führen häufig zu Aggression. Wer bei Tochter oder Sohn Anzeichen für Bulimie bemerkt, sollte in einem ruhigen Moment das Gespräch suchen und seine Wahrnehmungen und Sorgen schildern. Informieren Sie sich über die Krankheit und bestehen Sie nachdrücklich darauf, gemeinsam fachlichen Rat einzuholen. Für den Therapieerfolg ist es wichtig, in der Familie das Verhalten der Betroffenen als schwere Krankheit zu akzeptieren, gegenseitige Vorwürfe zu vermeiden und mit Ärzten und Therapeuten zusammenzuarbeiten. Je jünger die Patientin oder der Patient ist, umso mehr Gewicht haben Gespräche mit den wichtigsten Angehörigen. Erkrankt ein Familienmitglied an Bulimie, leiden alle darunter. Es kann Monate oder Jahre dauern, bis eine Essstörung überwunden ist. Deshalb sollten sich auch die Angehörigen Unterstützung suchen, z. B. in Selbsthilfegruppen, in Beratungsstellen oder bei Freunden. Es hilft beiden Seiten, wenn nicht der gesamte Familienalltag der Krankheit untergeordnet wird.

  • Wie kann man Bulimie dem Umfeld vermitteln?

    Bulimie verläuft meistens so versteckt, dass sie vom Umfeld nicht bemerkt wird. Die Ernsthaftigkeit dieser Essstörung ist im Gegensatz zur Magersucht weniger bekannt. Doch auch bei der Bulimie geht der Laie in der Regel davon aus, dass die Betroffenen einfach nur mit ihrem „merkwürdigen Essverhalten“ und dem Erbrechen aufhören müssten. Oberflächlich wird oft angenommen, dass es den Betroffenen nur um ihr Gewicht geht. Das ist jedoch nicht der Fall. Freunde, Mitschüler oder Arbeitskollegen sollten vor allem verstehen, dass Bulimiker an einer schweren Erkrankung leiden, die sie kaum aus eigener Kraft überwinden können. In dieser Essstörung drücken sich u. a. seelische Konflikte, persönliche Ohnmacht und mangelndes Selbstwertgefühl aus. Menschen mit Bulimie brauchen Verständnis und Ermutigung, die Hilfe von speziell ausgebildeten Ärzten und Psychologen anzunehmen.

  • Welche Hilfen bietet Salus?

    Bei der Salus werden Kinder und Jugendliche mit Bulimie ambulant, tagesklinisch oder vollstationär behandelt. Die kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken verfügen über die zur Diagnostik und Therapie erforderlichen Methoden. Betroffene und ihre Eltern können einen ambulanten Beratungstermin in den psychiatrischen Institutsambulanzen vereinbaren.

    Im Salus Fachklinikum Uchtspringe (Ortsteil der Hansestadt Stendal) gibt es eine psychosomatische Station mit einem speziellen Programm für essgestörte Mädchen und Jungen. Dazu gehören u. a. psychotherapeutische Gruppen- und Einzelgespräche, Aufklärung über Hintergründe und Zusammenhänge der Erkrankung, soziales Kompetenztraining, Schulung der Körperwahrnehmung, Physiotherapie, Gewichtsmanagement und Ernährungstherapie. Begleitend erfolgen ambulante Beratungs- und Aufklärungsgespräche für Eltern und Geschwister. Auch bei allen anderen Therapieformen sind die Familien eng eingebunden.

    In den kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken Bernburg, Dessau, Salzwedel, Stendal, und Wittenberg verbringen die Patienten den Tag gemeinsam und kehren nachmittags in ihr gewohntes Umfeld zurück. An Wochenenden und Feiertagen bleiben sie bei ihren Familien.

    Psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) der Salus befinden sich in Stendal, Stendal OT Uchtspringe, Salzwedel, Bernburg, Dessau und Wittenberg. Ambulante Diagnostik und Therapie laufen hier wie bei niedergelassenen Ärzten nach einem Terminsystem.

    Die Medizinischen Versorgungszentren der Salus-Praxis in Bernburg, Dessau-Roßlau, Magdeburg, Oebisfelde und Stendal bieten ebenfalls ambulante fachärztliche Hilfe.

     

     

Autorin
Edda Gehrmann

Fachliche Begleitung
Chefärztin, Dr. med. Ute Ebersbach

Hinweis
Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und erhebt nicht den Anspruch, alle Facetten der komplexen Thematik zu beleuchten. Er darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden und  kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.

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