Magersucht (Anorexia nervosa)

Magersucht (Anorexia nervosa) gehört wie Bulimie und Binge Eating zu den Essstörungen. Die Grenzen sind oft fließend, vor allem Magersucht und Bulimie liegen dicht beieinander. Charakteristisch für diese Erkrankungen ist der zwanghafte Umgang mit Nahrung aufgrund seelischer Nöte. Dadurch können schwere gesundheitliche Schäden entstehen. Weil Seele (Psyche) und Körper (Soma) beteiligt sind, sprechen Fachleute von psychosomatischen Erkrankungen. Magersüchtige essen extrem wenig bis nichts, auch wenn sie sich bereits weit unter das Normalgewicht gehungert haben. Sie nehmen ihren Körper verzerrt wahr, empfinden sich als dick und haben panische Angst davor, zuzunehmen. Der griechische Name Anorexie – Appetitlosigkeit – trifft den Kern nicht. Das beherrschende Thema der Magersucht ist Kontrolle. Am häufigsten bricht die Krankheit bei Mädchen am Anfang oder während der Pubertät aus. Fünf bis zehn Prozent der Betroffenen sind männlich.

Wichtigste Fragen zu Magersucht

  • Was sind die Anzeichen von Magersucht (Anorexia nervosa)?

    Magersüchtige sind auffallend dünn und beschäftigen sich andauernd mit dem Thema Nahrung. Sie zählen Kalorien, vermeiden fetthaltiges Essen, ernähren sich sehr einseitig von winzigen Portionen Gemüse, Salat, Obst oder Magermilchjoghurt, stellen sich mehrmals am Tag auf die Waage. Viele Betroffene entwickeln auffällige Rituale beim Essen, zerlegen z. B. die Nahrung in kleinste Teile, kauen und schlucken sehr langsam. Meistens haben sie einen starken Bewegungsdrang und treiben viel Sport. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen kommen bulimische Symptome wie Essanfälle, selbst herbeigeführtes Erbrechen und Missbrauch von Abführmitteln hinzu. Ihren starken Gewichtsverlust kaschieren sie mit weiter Kleidung oder tragen mehrere Lagen übereinander. Aufgrund ihres verlangsamten Stoffwechsels sind die Körpertemperatur, der Blutdruck und Puls von Magersüchtigen häufig vermindert.

  • Was sind die Ursachen von Magersucht (Anorexia nervosa)?

    Bei einer Magersucht-Erkrankung, kommen gesellschaftliche, biologische und psychologische Faktoren zusammen. Sie wirken sich je nach Person und Lebenssituation unterschiedlich stark aus. Die körperlichen und seelischen Veränderungen während der Pubertät, gesellschaftlicher Druck wie das allseits präsente Schlankheitsideal, familiäre Faktoren, Vorbilder in der unmittelbaren Umgebung und lebensgeschichtliche Ereignisse spielen als Risikofaktoren eine Rolle. Menschen mit einem tiefen Mangel an Selbstwertgefühl, die ihre Bedürfnisse nicht äußern können, zu Perfektionismus und leistungsorientiertem Denken neigen, sind besonders gefährdet. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass eine gewisse Anfälligkeit für eine Essstörung auch in den Genen liegt. Bei Mädchen und jungen Frauen mit den entsprechenden Voraussetzungen sind fast immer Diäten der Einstieg in die Magersucht. Gefährlich ist die hohe Eigendynamik der Erkrankung. Die körperlichen und seelischen Folgen der Unterernährung verschlimmern die Magersucht, so dass die Betroffenen in einen regelrechten Teufelskreis geraten.

  • Wie wird Magersucht (Anorexia nervosa) diagnostiziert?

    Die Diagnostik von Essstörungen gehört in die Hände von Fachärzten für Allgemeinmedizin, Kinder-und Jugendmedizin, Kinder-und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Im ausführlichen Gespräch mit den Betroffenen wird gezielt z. B. nach Symptomen, der Entwicklung von auffälligem Essverhalten, der aktuellen Ernährung und Trinkmenge, dem Wunschgewicht, Methoden zum Abnehmen, Leistungsverhalten und der gegenwärtigen Lebenssituation gefragt. Auch Begleiterscheinungen wie Depressionen, Ängste und Zwänge spielen bei der Diagnostik eine Rolle. Einige körperliche Untersuchungen sind nötig, um die Verfassung der Patienten festzustellen und andere Krankheiten als Ursache auszuschließen. Dabei werden u. a. Größe und Gewicht ermittelt. Ein Gewicht ab 15 Prozent unter dem Normalwert gilt als Kriterium für die Diagnose Anorexie. Magersüchtige spielen insbesondere am Anfang ihre Krankheit gern herunter. Eine Vertrauensperson kann im Gespräch seelische Stütze sein und mit ihren Beobachtungen aus dem Alltag dazu beitragen, Art und Schwere der Essstörung zu bestimmen.

  • Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

    Bei der Behandlung von Magersucht greifen Psychotherapie, spezielle Ernährungsberatung, Elternberatung bzw. Familientherapie, Medikamente und die Behandlung der körperlichen Folgen der Essstörung ineinander. Entspannungsverfahren, Übungen zur Körperwahrnehmung, Ergo-, Kunst- oder Tanztherapie können unterstützend wirken. Ob ambulant, stationär oder in einer Tagesklinik am besten geholfen werden kann, hängt vom körperlichen und seelischen Zustand des Kindes oder Jugendlichen, vom Schweregrad der Essstörung und vom persönlichen Umfeld ab. Ist die bzw. der Magersüchtige bereits in einem lebensbedrohlichen Zustand, ist auf Wunsch der Eltern und mit Genehmigung des Familiengerichtes (§ 1631B BGB) eine Einweisung in die Klinik gegen den Willen der Betroffenen möglich. Während der Therapie üben die Patienten schrittweise, sich wieder ausgewogen zu ernähren und arbeiten an ihren Ängsten, verzerrten Gefühlen, Wahrnehmungen  und Gedanken. Je früher und intensiver eine Behandlung erfolgt, umso besser sind die Heilungschancen. Aber auch bei jahrelang andauernder Magersucht besteht noch Hoffnung auf Besserung oder Genesung.

  • Welche Folgen kann eine ausbleibende Behandlung haben?

    Je länger die Magersucht dauert, umso mehr verfestigen sich die Muster des gestörten Essverhaltens. Die Unterernährung greift den gesamten Körper an und verursacht schwere gesundheitliche Schäden. Dazu zählen verlangsamter Herzschlag, sinkender Blutdruck und sinkende Körpertemperatur, Knochenabbau (Osteoporose), Muskelabbau und Magen-Darm-Beschwerden. Bei Kindern und Jugendlichen, die sich mitten in ihrer körperlichen Entwicklung befinden, sind irreparable Wachstumsstörungen möglich. Hormonelle Störungen können dazu führen, dass junge Mädchen ihre Menstruation nicht bekommen und die körperliche Reifung einfriert. Der hohe Flüssigkeits- und Elektrolytverlust durch regelmäßiges Erbrechen und den Missbrauch von Abführmitteln hat unter Umständen lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen zur Folge. Auch geistige und seelische Probleme wie Konzentrationsstörungen, Depressionen, Zwangs- und Angststörungen hängen mit dem anhaltenden körperlichen Mangelzustand zusammen. Für fünf bis sechs Prozent der Betroffenen endet die Magersucht tödlich. Die häufigste Todesursache ist Selbstmord. Damit hat Anorexie unter den chronischen Erkrankungen, die im Jugendalter beginnen können, die höchste Todesrate.

  • Wie kann man als Angehöriger die Behandlung unterstützen?

    Eltern von essgestörten Kindern und Jugendlichen brauchen sehr viel Geduld. Mangelnde Krankheitseinsicht und Leugnen sind Teil der Störung, Druck und Zwang führen häufig zu Aggression. Wer bei Tochter oder Sohn Anzeichen für Magersucht bemerkt, sollte in einem ruhigen Moment das Gespräch suchen und seine Wahrnehmungen und Sorgen schildern. Informieren Sie sich über die Krankheit und bestehen Sie nachdrücklich darauf, gemeinsam fachlichen Rat einzuholen. Je jünger die Patienten sind, umso mehr Gewicht liegt bei der Behandlung auf Gesprächen mit den wichtigsten Angehörigen. Das geschieht unabhängig davon, ob ein Zusammenhang der Essstörung mit den familiären Beziehungen vermutet wird. Für den Therapieerfolg ist es wichtig, in der Familie das Verhalten der Betroffenen als schwere Krankheit zu akzeptieren, gegenseitige Vorwürfe zu vermeiden und mit Ärzten und Therapeuten zusammenzuarbeiten. Erkrankt ein Familienmitglied an Magersucht, leiden alle darunter. Es kann Monate oder Jahre dauern, bis eine Essstörung überwunden ist. Deshalb sollten sich auch die Angehörigen Unterstützung suchen, z. B. in einer eigenen Therapie, Selbsthilfegruppen, in Beratungsstellen oder bei Freunden. Es hilft beiden Seiten, wenn nicht der gesamte Familienalltag der Krankheit untergeordnet wird.

  • Wie kann man Magersucht dem Umfeld vermitteln?

    Es kursieren einige Mythen über die Magersucht. So werden Essstörungen häufig als gestörtes Essverhalten missverstanden. Die Betroffenen müssten sich einfach nur zusammenreißen und mehr essen. Weit verbreitet ist auch die Annahme, Essstörungen seien nur pubertäres Oppositionsverhalten und würden sich auswachsen oder mit der Nahrungsverweigerung solle jemand bestraft werden, in der Regel die Eltern. Das ist jedoch nicht der Fall. Freunde, Mitschüler oder Arbeitskollegen sollten vor allem verstehen, dass Magersüchtige an einer schweren Erkrankung leiden, die sie kaum aus eigener Kraft überwinden können. In dieser Essstörung drücken sich u. a. seelische Konflikte, persönliche Ohnmacht und mangelndes Selbstwertgefühl aus. Menschen mit Magersucht brauchen Verständnis und Ermutigung, die Hilfe von speziell ausgebildeten Ärzten und Psychologen anzunehmen.

  • Welche Hilfen bietet Salus?

    Bei der Salus werden Kinder und Jugendliche mit Magersucht ambulant, tagesklinisch oder vollstationär behandelt. Die kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken und Einrichtungen verfügen über die zur Diagnostik und Therapie erforderlichen Methoden. Betroffene und ihre Eltern können einen ambulanten Beratungstermin in den psychiatrischen Institutsambulanzen vereinbaren.

    Im Salus Fachklinikum Uchtspringe (Ortsteil der Hansestadt Stendal) gibt es eine psychosomatische Station mit einem speziellen Programm für essgestörte Mädchen und Jungen. Dazu gehören u. a. psychotherapeutische Gruppen- und Einzelgespräche, Aufklärung über Hintergründe und Zusammenhänge der Erkrankung, soziales Kompetenztraining, Schulung der Körperwahrnehmung, Physiotherapie, Gewichtsmanagement und Ernährungstherapie. Begleitend erfolgen ambulante Beratungs- und Aufklärungsgespräche für Eltern und Geschwister. Auch bei allen anderen Therapieformen sind die Familien eng eingebunden.

    In den kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken Bernburg, Dessau, Salzwedel, Stendal, und Wittenberg verbringen die Patienten den Tag gemeinsam und kehren nachmittags in ihr gewohntes Umfeld zurück. An Wochenenden und Feiertagen bleiben sie bei ihren Familien.

    Psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) der Salus befinden sich in Stendal, Stendal OT Uchtspringe, Salzwedel, Bernburg, Dessau und Wittenberg. Ambulante Diagnostik und Therapie laufen hier wie bei niedergelassenen Ärzten nach einem Terminsystem.

    Die Medizinischen Versorgungszentren der Salus-Praxis in Bernburg, Dessau-Roßlau, Magdeburg, Oebisfelde und Stendal  bieten ambulante fachärztliche Hilfe an.

     

Autorin
Edda Gehrmann

Fachliche Begleitung
Chefärztin, Dr. med. Ute Ebersbach

Hinweis
Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und erhebt nicht den Anspruch, alle Facetten der komplexen Thematik zu beleuchten. Er darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden und  kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.

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