Den Ängsten Gewicht nehmen

(Oktober 2023) Am 10. Oktober 2023 ist Welttag der seelischen Gesundheit. An diesem Tag beginnt eine Aktionswoche, die sich in diesem Jahr unter dem Leitmotiv „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen” mit dem Thema von Ängsten in Krisenzeiten auseinandersetzt. Wie können wir einen gesunden Umgang mit der allgemeinen Unsicherheit und Überforderung angesichts der globalen Krisen finden? Initiator ist das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit. Wir sprachen mit dem Facharzt Dr. med. Jewgenij Wolfowski, Chefarzt unserer Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des Salus-Fachklinikums Uchtspringe über einige Aspekte der komplexen Thematik.  

Gefühle von Angst kennen wir alle, zumeist bereitet der Gedanke daran großes Unbehagen. Warum ist es dennoch ein nützliches Empfinden?   
Das Gefühl der Angst ist nicht nur nützlich, sondern sogar überlebensnotwendig: Es signalisiert uns Gefahren, warnt  und versetzt uns dadurch in die Lage, sinnvoll zu reagieren. Das betrifft zum einen die sofortige Reaktion auf akute Bedrohungen, wie zum Beispiel das reflexartige Ausweichen vor einem heranbrausenden Auto. Zum anderen ist das Angstempfinden auch ein wichtiger Navigator, um bei real bestehenden Risiken vorsichtig zu sein und abzuwägen: Wie weit wage ich mich hinaus? Muss ich mich schützen? Und wenn ja – wie?

Wie kommt man zu solchen Entscheidungen?
Die muss jeder Mensch für sich selbst finden -  der eine ist ängstlicher, der andere risikofreudiger. Generell ist es jedoch nie verkehrt, Vernunft und Vorsicht walten zu lassen: Wenn Sicherheits-dienste zum Beispiel vor Terroranschlägen in einem Land oder in bestimmten Touristenzentren warnen, wäre es sehr vernünftig, nicht dorthin zu fahren. Wenn der Wetterdienst heftige Regen-güsse, Sturm und Hagel ankündigt, ist es sinnvoll, das eigene Verhalten danach auszurichten und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wenn ich Angst vor Infektionen habe, könnte es eine gute Idee sein, die empfohlenen Schutzimpfungen machen zu lassen und bei Menschenansammlungen auch freiwillig eine Maske zu tragen. Das sind nur einige Beispiele. 

Sie empfehlen also den gesunden Menschenverstand!?
Gefahren auf ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen und entsprechend zu reagieren, ist aus meiner Sicht ein guter Weg für den Umgang mit angstbesetzten Empfindungen. Eine klare Analyse ist besser als das ständige Grübeln darüber, was alles passieren könnte. Natürlich gibt es auch Ereignisse, von denen Menschen aus heiterem Himmel getroffen werden. Oder auch krisenhafte Entwicklungen, bei denen persönliche Risikoabwägungen kaum möglich sind. All das kann zu nachvollziehbarem Unbehagen und diffuser Furcht führen. Wir sollten uns davon aber nicht beherrschen lassen. Es wäre falsch, sich zu verkriechen und in Angst zu verharren. Stattdessen gilt es, die Balance zwischen realen Gefahren und Risiken, eigenem Empfinden und persönlichen Handlungsoptionen zu finden.

Krisen scheinen sich in Deutschland und der Welt derzeit aufzutürmen. Kein Wunder, dass viele Menschen ängstlicher werden und sich ohnmächtig fühlen. Wie kann man da gegensteuern?  
Sprechen Sie darüber. Teilen Sie Sorgen und Erfahrungen. Reden hilft. Das können Sie zum Beispiel mit Freunden, Familienmitgliedern und im Kollegenkreis machen. Hinterfragen Sie dabei die Ereig-nisse und Zusammenhänge, die Ihnen Angst bereiten. Können Sie diese beeinflussen? Können Sie etwas daran ändern? Vielleicht können Sie mehr beeinflussen, als Sie bisher denken?!  Aus der Hilflosigkeit ins Handeln zu kommen, also Selbstwirksamkeit zu erleben, ist besonders wichtig. Damit kann man auch Ängsten, die in Krisenzeiten entstehen, etwas Gewicht nehmen. Machen Sie darüber hinaus Dinge, die Ihnen gut tun und Ihrem Alltag Stabilität geben. Vielfach kann es außerdem hilfreich sein, Methoden zu erlernen, die auch bei der Bewältigung psychischer Erkrankungen eine Rolle spielen, so zum Beispiel Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen.  

Wie unterscheidet man ängstliche Unsicherheit oder Überforderung von einer behandlungsbedürftigen Angststörung?
Wenn die  Angst sich verselbständigt und unangemessen so in den Vordergrund drängt, dass die Lebensqualität in vielen Bereichen stark bedroht ist, kann eine Angststörung vorliegen. Die Betroffenen ziehen sich beispielsweise aus dem Alltag, aus bestimmten Situationen oder von bestimmten Orten völlig zurück.  Viele unserer Patientinnen und Patienten leiden zugleich unter schlechtem Schlaf sowie unter körperlichen Beschwerden wie Herzrasen, Kopfschmerzen oder Schweißausbrüchen. Angststörungen sind übrigens kein seltenes Phänomen: Sie gehören neben den Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Rund 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden darunter. 

Warum und wann sollte man eine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen? 
Unbehandelt wird eine Angststtörung oft chronisch und schränkt die Lebensqualität der Betroffenen auf lange Sicht enorm ein.  Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für weitere psychische Erkrankungen wie Depression oder Sucht. Professionelle Hilfe sollte man suchen, wenn die Dauer und Häufigkeit von Angstzuständen zunehmen, man sie aus eigener Kraft kaum überwinden kann und die Lebensumstände eigentlich gar keinen Anlass dafür bieten. Wenn beispielsweise schon der Gedanke, am nächsten Tag ins Auto steigen und einkaufen zu müssen, Panik verursacht und den Schlaf raubt. Oder eben – wie bei der generalisierten Angststörung - die allgemeinen Unsicherheiten des Lebens stets und ständig als gewaltige Bedrohung für sich selbst wahrgenommen wer-den. Betroffene sollten ihre Beschwerden zuerst bei einer hausärztlichen Konsultation ganz offen ansprechen. Unsere ambulant tätigen Kolleginnen und Kollegen können dann über die weiteren therapeutischen Möglichkeiten beraten.
  
Welche sind das zum Beispiel?
Die Erfahrung zeigt, dass in vielen Fällen vor allem eine Verhaltenstherapie hilfreich ist, bei der die Bewältigung Angst auslösender Situationen gezielt trainiert wird. Betroffene Menschen in der Altmark können dabei u.a. auf die Angebote im Salus-Fachklinikum Uchtspringe sowie in den dazugehörigen Institutsambulanzen und Tageskliniken Salzwedel, Seehausen und Stendal zurückgreifen.

Hintergrund:
Der Welttag der seelischen Gesundheit wurde 1992 von der World Federation for Mental (WFMH) ins Leben gerufen. Er findet jährlich am 10. Oktober statt, um auf die Belange von psychisch er-krankten Menschen aufmerksam zu machen.
Er ist ein Ausdruck öffentlicher Achtsamkeit: für unseren Umgang mit den drängenden seelischen Problemen unserer Zeit (globale Krisen, Informationsflut, Stress, Burnout, Sinnkrisen), für das Verstehen der Hilferufe, die sich oft hinter körperlichen Schmerzen und gestörten Körperfunktionen verbergen, für das vorurteilsfreie Miteinander mit schwer seelisch erkrankten Menschen und ihren Angehörigen.  

 

 

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