Reden und gehört werden: Über das gute Gefühl, miteinander zu sein.

von Franka Petzke

Der internationale Aktionstag „World Mental Health Day“ findet seit 1992 immer am 10. Oktober statt. Initiator ist die World Federation for Mental Health (WFMH). Das deutsche Aktionsbündnis für seelische Gesundheit hat diesen Welttag im Jahr 2022 unter das Leitmotiv „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft” gestellt. 

Warum kann es in schwierigen Lebenssituationen bereits hilfreich, sich mit jemandem darüber auszutauschen? Was hindert uns mitunter, ein Thema anzusprechen, das uns traurig, wütend oder hilflos macht? Welche Rolle spielt das Zuhören? Sind Menschen, die sich gut öffnen können, womöglich besser vor psychischen Erkrankungen geschützt als grüblerische Persönlichkeiten? Nach einigen Aspekten des achtsamen Miteinander-Redens haben wir uns bei Mario Heller erkundigt. Der Diplom-Psychologe mit langjähriger klinischer Erfahrung im Salus-Fachklinikum Uchtspringe begleitet heute psychisch akut erkrankte Menschen im Rahmen der stationsäquivalenten Behandlung zu Hause. 

Bedrückendes loslassen 

„Schon wenn man ein negatives Gefühl nur benennt, stellt sich direkt Entlastung ein“, verweist Mario Heller nicht nur auf Alltagserfahrungen, die viele von uns schon gemacht haben. Vielmehr ist auch wissenschaftlich belegt, dass die Amygdala – ein Teil des limbischen Systems, das u.a. für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist – unmittelbar etwas zur Ruhe kommt. Ob es dabei um einen Konflikt in der Partnerschaft, Ärger mit einem Arbeitskollegen oder um latent unangenehme Lebensgefühle wie Angst und Schwermut geht, ist dabei gar nicht so entscheidend: „Um eine Problemlage verständlich beschreiben zu können, ist gedankliche Vorarbeit erforderlich. Man reflektiert diffuse Empfindungen und Wahrnehmungen, sucht nach Worten, um diese vermitteln zu können“, zeigt der Experte den einordnenden Job auf, den das Gehirn bereits vor einem Gespräch erledigt und der auch in schriftlicher Form – wie z.B. beim Tagebuch-Schreiben -  selbstbestärkend sein könne.  

Ausreden lassen

„Aussprechen ist dann die halbe Miete. Man kann Bedrückendes erst einmal loslassen und mit dem Gegenüber in Beziehung treten. Wenn ich das Gespräch aufnehme, bin ich nicht mehr allein, sondern im Miteinander“, stellt der Experte auch den Kontext zum Menschen als soziales Wesen her, zu dessen Grundbedürfnissen Nähe und Bindung gehören. „Es hilft, jemanden zu haben, der aufmerksam zuhört und Fragen stellt, die zu neuen Sichtweisen führen. Manchmal trägt allein der Perspektivwechsel dazu bei, dass man selbst auf mögliche Lösungswege stößt “, erläutert Mario Heller ein Wirkprinzip, das beispielsweise auch innerhalb einer Psychotherapie genutzt wird. Besonderen Stellenwert hat dabei das aktive Zuhören. Aus Sicht des Psychologen sollte man sich gegenüber einem ratsuchenden Mitmenschen an folgenden Tipps orientieren:

  • Lass´ dein Gegenüber ausreden. 
  • Signalisiere durch eine zugewandte Körperhaltung, Blickkontakt und Gesten wie zustimmendes Nicken: „Ich bin anwesend, ich bin bei dir und höre dir zu!“
  • Halte dich mit Bewertungen zurück.
  • Biete nicht gleich kluge Ratschläge und schnelle Lösungen an. Stelle lieber Nachfragen, die beim gemeinsamen Sortieren des Problems und der Suche nach einer Lösung helfen.  

Gewaltfrei kommunizieren

Während professionelle Therapeutinnen und Therapeuten sich mit einer möglichst gelingenden Gesprächsführung auskennen und es in einer Behandlungssituation auch allein um die Bedürfnisse des Hilfesuchenden geht, ist die achtsame Kommunikation im Lebensalltag keine Selbstverständlichkeit. Wenn Erwartungen und Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kann Frustration entstehen, die irgendwann explodiert. Gerade bei Konflikten und negativ besetzten Empfindungen in zwischenmenschlichen Beziehungen fällt es vielen schwer, den Gesprächsfaden aufzunehmen. „Dahinter steckt meistens die Angst vor Bewertung“, erklärt der Psychologe. „Menschen haben Angst davor, mit einem ,Das ist doch Quatsch. Das ist völliger Unsinn` zurückgewiesen zu werden“, erklärt Mario Heller das Phänomen. Um das Risiko eines aggressiven Gesprächsverlaufs zu umschiffen, empfiehlt er eine Befassung mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation. „Es bedeutet, ganz bei sich und seinen Bedürfnissen zu bleiben, also Du-Sätze wegzulassen und Ich-Signale zu senden.“   

Beschreibe ohne Wertung die Situation und deine Wahrnehmung möglichst konkret. Verzichte auf Vorwürfe und Verallgemeinerungen. (Nicht: „Du hast schon wieder ….“, sondern: „Ich habe bemerkt, dass du gestern …)
Erspüre deine damit verbundenen Emotionen und benenne diese. (Nicht: „Du bist wirklich unmöglich.“; Besser: „Ich bin enttäuscht und traurig …“)
Drücke dein eigenes Bedürfnis aus. (Nicht: „Du darfst nicht mehr …, sondern: „Mir ist wichtig, dass …“)
Leite daraus eine möglichst konkrete, lösungsorientierte Bitte ab. (Nicht: „Du musst jetzt …“, sondern „Ich bitte darum, dass wir uns am Sonntag nach dem Mittagessen zwei Stunden Zeit nehmen, um das Thema zu klären …“

Aussprechen statt unterdrücken  

Das Verdrängen unangenehmer Emotionen wie Wut, Trauer und Angst raubt nicht nur Kraft und Energie, sondern kann auf lange Sicht körperlich und psychisch krankmachen – auch das ist inzwischen wissenschaftlich belegt. Bevor es dazu kommt, sollten wir also lernen, damit umzugehen – aus Sicht von Mario Heller am besten schon in frühen Jahren: „Kinder, die im Elternhaus ermutigt werden, über Gefühle zu reden und sich zu entlasten, machen die Erfahrung: Meine Bedürfnisse werden ernst genommen. Ich bin wichtig.“, erklärt der Psychologe den Erwerb einer Bewältigungsstrategie, die sich als Katalysator für ein selbstbewusstes Lebensgefühl und als Schutzfaktor vor psychischen Erkrankungen bewähren kann.  Die man aber – und das ist die gute Nachricht für „Nachzügler“ – auch in späteren Jahren noch erwerben kann. Ein erster Schritt könnte – wie so oft im Leben – sein, einfach mal mit jemandem darüber zu reden, sei es im Freundeskreis, in einem Coaching oder innerhalb einer Gesprächstherapie.

Vom Reden zum Handeln 

Reden hilft – langfristig aber nur dann, wenn man nach eingehender Reflexion und möglichen Lösungswegen auch ins Handeln kommt. „Es nützt nichts, mit der besten Freundin jahrelang über ein und dasselbe Problem zu quatschen und immer wieder festzustellen, was man eigentlich tun müsste, um dann dennoch in alten Verhaltensmustern zu verharren“, erklärt Mario Heller und rät, Verantwortung zu übernehmen, sich aufzuraffen und mit kleinen Schritten zu beginnen. Wie das am besten gelingen kann, ist schon wieder ein neues Kapitel mit Stoff für einen weiteren Beitrag.  

 

 

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren:

Innere Balance

Die Kraft der Sonne – wie sie auf unsere Psyche und unseren Körper wirkt

Mehr erfahren