Leistungsdruck drückt auch im Kopf. Schulangst – woher sie kommt und wie sie sich zeigt

von Bianca Kahl

Manchmal treibt Celine ihre Eltern fast in den Wahnsinn. Jeden Morgen kommt sie nicht aus dem Bett, ist extrem müde und bummelt lange beim Anziehen. Die Viertklässlerin schafft es nur knapp, rechtzeitig in der Schule zu sein. Am Abend, wenn die Eltern sie dann zeitig ins Bett schicken wollen, klagt sie über Kopfschmerzen und schläft lange nicht ein. Ein Teufelskreis. Oder steckt mehr dahinter?

Wie äußert sich Schulangst?

Bauchweh, Kopfschmerzen, Bummelei – dies alles können Anzeichen von Schulangst sein. Wenn die Beschwerden an freien Tagen wie von Zauberhand verschwunden sind, sollte man aufhorchen.
„Kinder und Jugendliche können nicht so leicht über ihre Gefühle sprechen“, sagt Sigrun Leine, Leiterin des Salus-Kinder- und Jugendheims Schloss Pretzsch. Gerade jüngere Kinder klagen dann häufig über Bauchschmerzen. Auch in anderen körperlichen Symptomen können sich Angst, Ärger, Wut und Enttäuschung zeigen.

Wie erkenne ich, dass es ernst ist?

Celines Eltern haben zuerst mit der Kinderärztin gesprochen. Das ist der richtige Weg, wenn die Beschwerden über mehrere Wochen anhalten. Diese konnte körperliche Ursachen für die Kopfschmerzen ausschließen. Zugleich die Ärzt*innen nahe zu prüfen, ob Celine in Wirklichkeit vielleicht unter Schulangst leidet.
Die Eltern brachte das in große Aufruhr. Schließlich haben sie bereits große Probleme mit Celines älterem Halbbruder hinter sich. Dieser hatte häufig heimlich die Schule geschwänzt, fand keine Freunde und litt unter großen psychischen Problemen. Ihm ging es erst wieder besser, als er zeitweise in eine Wohngruppe des Kinder- und Jugendheims Schloss Pretzsch einzog und auf die dortige Schule wechselte.
Doch Sigrun Leine rät zu Besonnenheit: „Wenn das Kind einfach mal ein paar Tage lang keine Lust auf die Schule hat, muss man das nicht dramatisieren.“ Kinder wollen und sollten lernen, sich selbst zu behaupten. Ein paar Streitigkeiten mit Mitschüler*innen bedeuten nicht gleich, dass man gemobbt wird. Schlaflose Nächte vor einer wichtigen Klassenarbeit sind nicht gleich krankhaft. Auch dass man sich von Lehrer*innen mal ungerecht behandelt fühlt, gehört einfach zum Leben dazu.
Wenn sich das Kind jedoch auf Dauer heftig gegen die Schule wehrt, ist das ein Alarmzeichen. Gegebenenfalls sollte dann ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut  oder Kinder- und Jugendpsychiater hinzu gezogen werden. Er kann feststellen, ob eine  Angststörung oder andere psychische Probleme vorliegen, die behandelt werden müssen. Junge Patient*innen mit einer Angststörung bleiben zum Beispiel auch am Nachmittag am liebsten zu Hause und meiden andere Kinder.

Mögliche Ursachen von Schulangst

Wenn das Kind lediglich Angst vor der Schule hat und am Nachmittag weitgehend unbeschwert ist, dann liegen vermutlich auch die Ursachen in der Schule. Dies können Hänseleien sein, ein grober Umgang unter Mitschüler*innen bis hin zu körperlicher Gewalt und Erpressung. Die Angst kann aber auch in Leistungsdruck begründet liegen: Fürchtet sich das Kind, von Lehrer*innen aufgerufen zu werden? Schämt es sich, wenn es eine Antwort nicht weiß? Wie ist das Verhältnis zum*zur Lehrer*in? Ist das Kind allgemein überfordert oder leidet es unter dem hohen Erwartungsdruck der eigenen Eltern? Möglicherweise übertreiben es Eltern sogar mit ihrer Fürsorge. Dann sind ihre Kinder gestresst, wenn sie im raueren Alltag allein zurechtkommen müssen. Dies alles sind Fragen, denen man sich stellen sollte.

Wer ist besonders gefährdet?

Vor allen sensible Kinder leiden schnell unter Schulangst. Ebenfalls häufig betroffen sind Schüler*innen aus einem strengen, sehr leistungsorientierten Elternhaus oder solche, die von sich aus schon fleißig und strebsam sind. Besondere Sensibilität ist ebenso geboten, wenn einschneidende Veränderungen zu meistern sind. Insbesondere Schulanfänger*innen, Jugendliche in der Pubertät und Kinder in Zeiten des Schulformwechsel können dann unter große emotionale Anspannung geraten. Auch Celine setzt sich selbst stark unter Druck, weil sie gut genug für das Gymnasium sein will. Auf dem Schulhof gibt es kein anderes Thema mehr. Der Klassenlehrer hatte sogar Platzierungen veröffentlicht, um zu zeigen, wo jeder einzelne Schüler leistungsmäßig steht. Am Gymnasium dann ist Schulangst noch weiter verbreitet als an anderen Schulen. Der Leistungsdruck steigt.

Wie können Eltern helfen?

„Eltern tun gut daran, die Sorgen ihrer Kinder ernst zu nehmen“, weiß Sigrun Leine. Sie rät zu einfühlsamen Gesprächen. Dabei hilft es, weder zu dramatisieren  noch die Sorgen klein zu reden. Das Kind muss das Gefühl bekommen, dass es allein in der Lage ist, seinen Problemen zu begegnen. Häufig wird es schon besser, wenn es sich mal alles von der Seele reden kann und verstanden fühlt. Eltern sind gut beraten, auch die eigenen Erwartungen, die sie ihrem Kind vermitteln, und den Grad der eigenen Fürsorge selbstkritisch zu überdenken. Abgesehen davon, dass bei Mobbing und Gewalt in jedem Fall die Schule informiert werden sollte, lohnt sich auch bei anderen Problemen meist ein vertrauensvolles Gespräch mit dem*der Lehrer*in. Gemeinsam kann man dann überlegen, wie sich die Situation verbessern lässt. So konnten auch Celines Eltern den Klassenlehrer für ihre Bedenken vor einem übertriebenen Leistungsdrucks sensibilisieren.

Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und erhebt nicht den Anspruch, alle Facetten der komplexen Thematik zu beleuchten.

Fachliche Begleitung

Bianka Puppel
Sigrun Leine
 

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