Tabuthema seelische Erkrankungen? Männergesundheit im Blick.

von Jenny Mierau

Seelische Erkrankungen bei Männern waren jahrelang tabuisiert und noch heute werden sie deutlich weniger diagnostiziert als bei Frauen. Tragische Fälle, wie dem des ehemaligen Fußballspielers Robert Enke, haben dazu beigetragen, dieses Tabu aufzubrechen. Immer mehr männliche Prominente wie Dwayne Johnson, Bruce Springsteen oder Kurt Krömer sprechen nun offen über ihren Umgang mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Auch durch zahlreiche Aktionstage wie die International Men’s Health Week, dem Weltmänner-Tag sowie durch Kampagnen der US-amerikanischen Movember*-Foundation, bekommen Themen der seelischen Männergesundheit seit einigen Jahren öffentlich mehr Beachtung. Die Notwendigkeit kann nicht oft genug betont werden, lag der Anteil von Männern bei den vollendeten Suiziden in Deutschland zuletzt bei 73 Prozent.

Warum psychische Erkrankungen bei vielen Männern eher verdrängt werden, wie moderne psychotherapeutische Behandlungstherapien aussehen und wie Männer bei Symptomen seelischer Erkrankungen vom Umfeld unterstützt werden können, erfahren Sie im Interview mit unserem Mitarbeiter Herr Birkenbach. Als Rehapsychologe arbeitet er seit 2019 im Fachklinikum Uchtspringe, wo Herr Birkenbach auch viele männliche Patienten in der Klinik für Psychotherapeutische Medizin, Psychosomatik und Suchtmedizin behandelt.


Herr Birkenbach, woran liegt es, dass viele Männer besonders bei seelischen Erkrankungen weniger Hilfsangebote in Anspruch nehmen als Frauen? Welche Ursachen sehen Sie? 
Aus psychologischer Sicht spielt der Prozess des Sich- Eingestehens eine wichtige Rolle. Viele Männer versuchen oft über einen langen Zeitraum ein bestimmtes Selbstbild von sich aufrechtzuerhalten, das Krisen schlichtweg nicht zulässt. Dabei bedienen sie sich bestimmter Bewältigungsstrategien, die typisch sind für Männer im Umgang mit „negativen“ Gefühlen wie Stress, Angst, Trauer und Wut. Dazu zählen häufig sozialer Rückzug oder auch der Umgang mit Suchmitteln, wie z.B. pathologisches Spielen bei z.B. Sportwetten etc. Letzteres dient dabei als eine Art kurzfristige, positive Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit. Die Schuld an eigenen Problemsituationen wird damit über einen längeren Zeitraum von sich gewiesen oder ignoriert, weil auch die Bereitschaft fehlt, etwas an sich zu ändern. Das Eingeständnis professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, kommt dann häufig auch nicht von den Patienten selber, sondern erst auf Anraten des Umfelds.

Gibt es psychische Erkrankungen, deren Ausprägungen bei Männern anders sind als bei Frauen?
Ja, ein gutes Beispiel sind Depressionen. Bei Männern zeigen sich häufig depressive Symptome u.a. in Wut, Gereiztheit oder Schlafstörungen. Oft ist ein anderer Umgang mit Aggression zu beobachten, die gegen sich selbst gerichtet ist und auch heftiger ausbrechen kann. Leider zeigt sich dies auch in der hohen Anzahl vollzogener Suizide unter Männern.


Wie kann Mann sich Therapien von seelischen Erkrankungen heute vorstellen? Liegt Mann noch auf der Couch beim „Seelenklempner“?
Nun, vorweg kann ich sagen, dass wir hier in Deutschland eine breite psychotherapeutische Infrastruktur haben. Von tiefen-und verhaltenstherapeutischen über systemische Ansätzen-ist das Spektrum an Behandlungskonzepten sehr vielseitig. Auf der Couch liegen die Patient*innen, meines Erachtens, wenn überhaupt meist nur noch in psychoanalytischen Therapien. In unserem Fachklinikum und speziell in meinem Arbeitsbereich arbeiten wir viel mit Einzel- und Gruppentherapien. Im Vordergrund steht dabei der Umgang mit Konflikten und die Wahrnehmung der eigenen Rolle darin.

Wie werden seelische Erkrankungen diagnostiziert und wie werden mögliche andere Erkrankungen als Ursache für die Symptome ausgeschlossen?
Bevor Patienten auf unsere Station kommen, wurde meistens im Vorfeld eine somatische Erkrankung durch z.B. bildgebende Verfahren ausgeschlossen. Ähnliche Verfahren werden aber auch hier im Zuge der Psychodiagnostik noch einmal durchgeführt. Dazu zählen z.B. Laborwerte, die genommen werden, um mögliche Parameter für psychische Erkrankungen zu überprüfen. 
Im nächsten Schritt werden dann diagnostische Tests durchgeführt und mit dem Patient*innen eine gemeinsame Fragestellung entwickelt. Über Fragebögen können wir beispielsweise mehr über mögliche depressiven Belastungen der Patient*innen erfahren, die von der eigenen Lebensgeschichte erzählen und wir erstmal zu hören. Danach werden dann passende Therapiekonzepte erarbeitet, die bei der Bewältigung von Konflikten oder Erkrankungen helfen.

Welche Hilfsangebote würden Sie Männern empfehlen, die merken, dass „etwas nicht stimmt“ und sich Symptome einer seelischen Erkrankung zeigen?
Wichtig ist, dass die Signale des Körpers oder der Seele ernst genommen werden. Dazu zählen nicht nur Schmerzen in einem Bereich des Körpers. Auch Schlaflosigkeit, Gereiztheit und häufiges Weinen können Anzeichen einer seelischen Erkrankung sein. 
Die erste Ansprechperson sollte stets der eigene Hausarzt*in sein. Weiterhin können über die Telefonseelsorge erste Beratungsangebote in Anspruch genommen werden, da dort geschultes Personal Betroffene in den Gesprächen betreut. Auch ambulante Psychotherapeut*innen und Krankenkassen sind wichtige Anlaufstellen bei psychischen Erkrankungen. In akuten Situationen sind auch immer die psychiatrischen Fachkliniken ansprechbar und aufnahmebereit.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch.
 

 

*Der Begriff „Movember“ setzt sich aus den englischen Wörtern Moustache (Schurrbart) und November zusammen und ist auf öffentlichkeitswirksame Aktionen der Stiftung zurückzuführen, die Themen der Männergesundheit in den Fokus rücken. Dazu werden seit einigen Jahren im Aktionsmonat November Männer weltweit aufgerufen, sich ab dem 1.11. nicht mehr zu rasieren und sich stattdessen Schnurrbärte (engl. Moustache) stehen zu lassen. Dies wird meist mit Fotos und Videos begleitet.

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