Warum Watte nicht hilft - Wie umgehen mit Frust im Kindergartenalter?

von Cornelia Heller

Jakob stapelt hoch. Jakob ist vier und ein Baumeister. Baustein für Baustein wächst sein Turm. Hoch und höher. Fast schon so hoch wie der von Alena. Doch als er den letzten Stein setzen will, neigt sich das bunte Bauwerk – und fällt in sich zusammen. Kinderglück löst sich in Tränen auf. Aber auch in einem Impuls. Mit einem Handstreich fällt er das Bauwerk seiner älteren Schwester. Laut hörbar fällt die Welt ihrer Steine in sich zusammen wie auch die Ruhe eines gemeinsamen Spielnachmittags.

Enttäuschung, Wut, Frust. … „Sehr normale Gefühle für Kinder im Vorschulalter“, sagt die Psychologin Rosa Weissenburger. „Wir kennen diese Gefühle von uns selbst, wenn sich Wünsche, Erwartungen oder Ziele nicht erfüllen. Als Erwachsene haben wir weitgehend gelernt, mit Rückschlägen umzugehen. Kinder aber müssen das erst noch.“ Es ist ein Weg, der vor jedem Menschen liegt, wenn er auf diese Welt geboren wird. Es ist der Weg zur Duldsamkeit, auch Toleranz genannt.

Toleranz will gelernt sein

Psycholog*innen sprechen von „Frustrationstoleranz“, eine Fähigkeit, die der Mensch bestenfalls im Vorschulalter erwirbt. Zugang zu den eigenen Gefühlen zu haben und diese auch reflexiv erfassen zu können, ist ein wichtiger Schritt in der Kindesentwicklung. Denn: Am Anfang gibt es noch kein Ich, das Kind ist eins mit seiner Bezugsperson. Mit dem Erwachen des Bewusstseins entwickeln sich indes eigene Wünsche, Erwartungen und Ziele. Erfüllen sie sich nicht, bricht sich Enttäuschung, manchmal auch Aggression bahn, wie bei Jakob, der wie alle Kinder mit der neuen Erkenntnis konfrontiert ist, Emotionen regulieren zu müssen, wenn es mal nicht so läuft, wie man es erwartet hat. Es sind die viel beschriebenen, viel gefürchteten Phasen von Trotz und Rotz, die den Weg in ihre Autonomie begleiten. Aber jedes Kind beobachtet genau, wie Erwachsene mit derartigen Situationen umgehen. Kinder schauen zu und schauen ab. Insofern kommt Eltern eine große Verantwortung und Rolle zu: Vorbild sein.

„Es ist manchmal schwer, aber sehr wichtig, klare Grenzen zu setzen und auszuhalten, dass diese auch mal zu Frust führen.“

„Geduld haben“, „Einen kühlen Kopf bewahren“, „Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen“ … Gutgemeinte Ratschläge, die einen dennoch der peinlichen Momente in der Kassen-Quengelzone erinnern lassen, in denen Tochter oder Sohn auf dem Boden greinend brüllte: „Ich will aber!“ und ungebetenes Publikum verständnislos kopfschüttelnd schweigt. „Es ist manchmal schwer, aber sehr wichtig“, betont Rosa Weissenburger, „klare Grenzen zu setzen und auszuhalten, dass diese auch mal zu Frust führen. Dem Kind ist mit Schokolade nicht geholfen. Wir können es nicht in Watte packen und vor den Unwägbarkeiten des Alltags bewahren. Mit Enttäuschungen und Rückschlägen klarzukommen, ist eine wertvolle Erfahrung. Fürs ganze Leben.“ Denn: Kinder, deren Frustrationstoleranz niedrig und das Verständnis für die Gefühle von Enttäuschung und Frust minder trainiert sind, können auch im späteren Leben oft nicht warten, geben bei Anforderungen schnell auf, sind unduldsam und haben es schwer, sich in die Gesellschaft und so auch mit Beginn des Schulalltags in eine Klassengemeinschaft einzufügen.

Die Ausnahme von der Regel und das Agreement

Dass es Situationen gibt, wo man auch mal ein Auge zudrücken muss, gehört genauso zum gelebten Alltag. Etwa auf einer längeren Bahnfahrt, wo alle mitunter auf eine harte Probe gestellt werden und man mit elterlicher Kreativität, mit Spiel, Ablenkung und Verständnis Langeweile und Ungeduld begegnen muss.

Aber auch darüber sollte man mit dem Kind sprechen, über die „Ausnahme von der Regel“, wie überhaupt die Psychologin dazu rät, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben. Ist der Frust verflogen, kann man über kritische Situationen sprechen. Hierbei ist es wichtig, die Gefühle des Kindes anzuerkennen und aufzuzeigen, wie es anders damit umgehen kann. Auch zukünftige Szenarien können mit beruhigtem Gemüt ausgehandelt werden. Das verlorene Brettspiel, das Verbot des ständigen Spielens auf dem Smartphone oder das zunächst vergebliche Warten auf die Aufmerksamkeit der Eltern, während sie zum Beispiel in einer Videokonferenz unabkömmlich sind – all das erfordert Erklärung und ein Agreement, eine gemeinsame Übereinkunft mit einer zeitlichen Lösung: „Du gewinnst bestimmt ein andermal!“, „Du darfst spielen, wenn Du Dein Geschirr abgeräumt hast.“ oder „Wenn ich mit der Konferenz fertig bin, lese ich Dir vor.“

Scheitern stärkt!

Kinder sollen aber auch in ihrem Kummer ernst genommen werden. Mit Ansagen wie „Jetzt stell Dich nicht so an!“ können sie nichts anfangen. Vielmehr geht es um Beistand, Hilfe und um das Aufzeigen von möglichen Umgangsstrategien. Zu wissen, wie man überbordenden Gefühlen Herr werden kann, ist wie alles im Leben eine Sache der Übung. Das sollten Eltern im Blick haben: An Aufgaben und Zielen hin und wieder zu scheitern und mit Niederlagen wie dem Einsturz eines Bausteinturms leben zu lernen, stärkt das Kind – und seine Fähigkeit, toleranter mit Frustrationen umzugehen. Mit Jakob zu sprechen, … ihn an die Hand zu nehmen und mit Konsequenz Wege für Zugang und Versöhnung zu finden, lässt im besten Fall am Ende des Tages die Geschwister gemeinsam einen neuen hohen bunten Turm bauen. Der Ärger ist schnell vergessen, die Lehre daraus nicht.

 

Rosa Weissenburger ist Psychologin im Kinder- und Jugendheim „Adolf Reichwein" Schloss Pretzsch der Salus gGmbH, einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die auf Grund von individuellen Problemlagen einer besonderen Hilfe bedürfen. Rosa Weissenburger begleitet Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 17 Jahren. In ihre Arbeit lässt sie Grundhaltung und Elemente der Gestalttherapie einfließen, ein humanistisches erfahrungs-, erlebnis- und ressourcenorientiertes Verfahren in der Psychotherapie. Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen findet im Einzel- sowie im Gruppensetting statt. Begleitend berät sie sowohl Eltern als auch die Teams der stationären Wohngruppen.

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