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"Das Geschlecht in mir": Wissenschaftliche Tagung zur Vielfalt geschlechtlicher Identitäten

Initiatorinnen und Gastgeberinnen der Tagung waren Dr. med. Ute Ebersbach (l., Chefärztin der Uchtspringer Klinik II für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie), und Dr. med. Cornelia Ulrich (Chefärztin der Klinik für Psychotherapeutische Medizin, Psychosomatik und Suchtmedizin).

Die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten stand am 29. März 2023 im Blickpunkt einer wissenschaftlichen Tagung des Salus-Fachklinikums Uchtspringe. Daran nahmen mehr als 150 Fachleute aus Medizin, Psychologie und Psychotherapie, Pädagogik, Heilerziehungspflege und anderen Professionen teil, die sich aktuelle Erkenntnisse über Transgender, Transsexualität, Intersexualität und Geschlechtsdysphorie aneignen wollten. Das Tagungsprogramm umfasste drei Vorträge. Unter anderem ging es dabei um die einfühlsam-akzeptierende psychotherapeutische Arbeit mit Menschen, die sich nicht oder nicht eindeutig mit ihrer bei der Geburt festgestellten Geschlechtszugehörigkeit identifizieren können, davon irritiert sind oder sogar leiden. Aspekte im Kindes- und Jugendalter wurden dabei ebenso gewichtet wie mögliche Konstellationen bei Erwachsenen. 
So ging Prof. Dr. med. Florian Daniel Zepf, Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiat-rie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena, auf Trans-Identitäten bei Kindern und Jugendlichen sowie auf die aktuelle Evidenzlage beim Einsatz von Hormonen zur Pubertätsblockade ein. Er ließ dabei an Erfahrungen aus einer Spezialsprechstunde teil-haben, die an der Klinik in Jena für die Beratung und Begleitung von Trans-Mädchen und Trans-Jungen eingerichtet wurde. Dass sich die Geschlechtsidentität nicht mit den körperli-chen Merkmalen deckt, sei keine psychische Störung oder Erkrankung, hob der Experte hervor. Es komme jedoch nicht selten vor, dass Kinder und Jugendliche unter der Diskrepanz zwischen körperlichem Geschlecht und empfundener Zugehörigkeit psychisch leiden oder sogar erkranken und eine Geschlechtsdysphorie entwickeln. In diesen Fällen sei eine einfühlsam-vermittelnde therapeutische Begleitung wichtig sein, um zum Beispiel Depressionen oder sogar Suizidalität zu überwinden sowie die Identitätsfindung sensibel zu unterstützen. Besondere Bedeutung komme dabei einem möglichst verständnisvollen und diskriminierungsfreien Umfeld zu, plädierte Prof. Zepf für die Akzeptanz diverser Lebensweisen.
Im weiteren Verlauf der Tagung stellten die Rehabilitationspsycholog*innen Mira Kaszta, und Simon Reutlinger die Entstehung ihres eindrucksvollen Buches „Intergeschlechtlichkeit. Eine qualitative Fallstudie zur psychosexuellen Entwicklung“ vor. Sie haben dafür Interviews mit Menschen im Alter zwischen 30 und ca. 50 Jahren geführt, die ohne eindeutiges körper-liches Geschlecht aufgewachsen sind. Diese berichten von ihrem oft mühevollen Weg, sich im Leben in und mit einem Körper zurechtzufinden, für den das soziale Umfeld und die Öffentlichkeit, aber auch Medizin und das Justizsystem noch wenig Verständnis haben. 
Solche Erfahrungen reflektierte aus beruflicher Sicht und persönlichem Erleben auch Nathan Mehring, Assistenzarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe am Bürgerhospital Frankfurt, in seinem Vortrag „Der schwangere Vater: Zur medizinischen Versorgung von schwangeren Transmännern und nicht-binären schwangeren Personen.“ Er warb für Respekt vor der ge-schlechtlichen Identität: „Transmenschen erhoffen sich von ihren betreuenden Ärzt*innen dasselbe wie alle anderen Patient*innen auch: eine fachlich gute Betreuung und einen empathischen menschlichen Umgang. Aufgrund bereits erlebter Diskriminierungen können manche Transmenschen misstrauisch gegenüber dem Gesundheitspersonal sein. Bemühen sich jedoch beide Seiten um einen offenen Umgang mit Unsicherheiten und Fragen, kann sich ein vertrauensvolles Ärztin-Patienten-Verhältnis entwickeln. Grundvoraussetzung ist in jedem Fall eine akzeptierende Haltung der Ärztin, welche die Identität des Patienten nicht in Frage stellt“, erklärt Nathan Mehring in seiner Publikation zu dieser Thematik.
 „So zu sein und zu leben, wie man ist, hat für die psychische Gesundheit große Bedeutung“, hebt Dr. med. Cornelia Ulrich, Chefärztin der Uchtspringer Klinik für Psychotherapeutische Medizin, Psychosomatik und Suchtmedizin, resümierend hervor. Diese Erfahrung aus der klinischen Praxis sei ein wichtiger Beweggrund für die wissenschaftliche Tagung gewesen. Wie die Odyssee zahlreicher Patient*innen zeige, könne das Verdrängen der geschlechtlichen Identität zu Depressionen, Angststörungen und sogar zur Suizidalität führen könne. „Ein verständnisvoll-akzeptierendes Umfeld, mehr gesellschaftliche Toleranz und - bei Bedarf - medizinisch-therapeutische Unterstützung für das Leben im gefühlten Geschlecht sind notwendig, damit sich Menschen selbstbestimmt für oder gegen eine Transition entscheiden können. In diesem Sinne hat unsere Tagung einen Beitrag zur Aufklärung und Sensibilisierung geleistet“, hofft Frau Dr. Ulrich.   
Aus Sicht von Dr. med. Ute Ebersbach, Chefärztin der Uchtspringer Klinik II für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, erfordert die gefühlte Transidentität bei Kindern und Jugendlichen inmitten der Persönlichkeitsentwicklung eine besonders achtsame, zunächst ergebnisoffene Begleitung: „Es ist wichtig, die individuellen Ursachen von Irritation, Unsicherheit, Rebellion oder Depression herauszufinden. Gerade die Pubertät ist eine Phase der Identitätssuche, die auch von Krisen begleitet sein kann. Wenn ein Mädchen oder ein Junge sich nicht geschlechtskonform verhält und eine andere Rollenzuweisung einfordert, liegt nicht zwangsläufig eine Transidentität vor“, erklärt die erfahrene Fachärztin.  „Mit unserem therapeutischen Angebot wollen wir in erster Linie einen sicheren und wert-schätzenden Raum für die Selbstreflexion schaffen, der den Erkenntnis- und Bewusstseinsprozess fördert.“ 

Zum Weiterlesen
https://dgti.org/2021/09/14/genderbread-maennchen/
https://dgpfg.de/blog/der-schwangere-vater/
https://www.uniklinikum-jena.de/Uniklinikum+Jena/Aktuelles/Archiv/PM_Archiv+2019/Im+anderen+K%C3%B6rper-pos-0.html
Buchtipp: „Intergeschlechtlichkeit. Eine qualitative Fallstudie zur psychosexuellen Entwicklung“; erschien bei Brandes & Apsel ISBN 978-3-95558-282-1