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Doktorarbeit zu Musikangeboten im Maßregelvollzug Uchtspringe

Wie müssen musikalische Angebote im Maßregelvollzug konzipiert sein, so dass sie auf der Basis des Rechts auf kulturelle Bildung und Teilhabe persönliche und soziale Ressourcen der Untergebrachten fördern? Dieser Forschungsfrage stellt sich Sandra Sinsch im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie ist Diplom Musikpädagogin, Musiktherapeutin und Musikgeragogin im Salus-Maßregelvollzug Uchtspringe.

„Als ich meine Arbeit hier begann, habe ich schnell gesehen, dass sie sich deutlich anders gestaltet, als ich es vorher kannte“, erinnert sie sich zurück. „Hier im Maßregelvollzug Uchtspringe wollen wir den Patienten neue Erfahrungsräume öffnen und sie durch Musik ganzheitlich in ihrer Entwicklung unterstützen. Es geht daher nicht nur um Freizeitmaßnahmen während der Unterbringung oder Impulse für ein Hobby, das nach der Entlassung als Prävention erneuter Straffälligkeit bedeutsam sein kann, sondern auch gezielt um therapeutische, soziale, pädagogische und sogar künstlerische Aspekte“, sagt sie. Erst seit kurzer Zeit habe die Musikpädagogik den Strafvollzug als Arbeitsfeld entdeckt, der Maßregelvollzug bildet national wie international einen weißen Fleck auf der Forschungslandkarte aller musikalischen Disziplinen, ergänzt Sandra Sinsch. 

„Es ist ein faszinierender Bereich und jeder Tag ist eine Überraschung. Für mich ist es sehr spannend, was wir hier mit Musik erreichen können. Die Palette reicht im Bereich Musikpädagogik, um den es in meiner Forschung geht, von einem Preis eines Untergebrachten im Kunstwettbewerb des Landesverbandes für Kriminalprävention und Resozialisierung Sachsen-Anhalt e.V. für eine Tischharfenkomposition bis hin zum Klavier als Detektor für die Nebenwirkungen eines Medikamentes," erklärt sie. 

Das Hochsicherheitssetting im Maßregelvollzug ist dabei eine ganz besondere Herausforderung, denn hier ist das eigenständige Instrumentalspiel außerhalb der Einheiten erschwert oder gar nicht möglich. "Wer monatelang an ein, zwei Gitarrengriffen laboriert, ist zwangsläufig frustriert. Was wir brauchen, sind Methoden, die Patienten durch sofortige Erfolgserlebnisse motivieren. Das ist absolut entscheidend bei den defizitär verlaufenen Lebensgeschichten", meint Sandra Sinsch. Eine "Konkurrenzsituation" zur konventionellen Musiktherapie besteht dabei nicht. Denn die Arbeitsfelder haben eine gemeinsame historische Wurzel. Die langen Behandlungsverläufe im Maßregelvollzug bieten sich geradezu an, das volle Potenzial aller Möglichkeiten musikalischer Arbeit auszuschöpfen. 

Die etwa 50 Patienten, mit denen sie zusammenarbeitet, haben hauptsächlich schizophrene Erkrankungen, Verhaltensstörungen oder Intelligenzminderungen. In einem Forschungszeitraum von drei Jahren wird sie ausgewählte Einzel- und Gruppensettings in einer qualitativen Fallstudie analysieren und mit theoriegenerierenden Experteninterviews in Bezug setzen. Ziel dabei ist es, Praxisleitlinien für musikpädagogisch und musiktherapeutisch Tätige im Maßregelvollzug, die häufig auch Instrumente unterrichten, zu entwickeln, die Bedeutung von Musikangeboten für die Patienten darzustellen, Impulse zur Gestaltung von Musikprogrammen zu setzen und die Rolle der musikalischen Arbeit im Maßregelvollzug für die Gesellschaft herauszuarbeiten.

Sandra Sinsch ist nicht nur Musikpädagogin und Musiktherapeutin, sondern auch Musikgeragogin. Dabei handelt es sich um eine noch junge akademische Disziplin, die sich mit musikalischen Bildungsprozessen der Altersgruppe 50+ beschäftigt - bis hin zu hochbetagten dementiell veränderten Menschen. "Von musikgeragogischen Methoden profitieren auch die jüngeren Patienten in Uchtspringe.  Erst kürzlich hat eine Studie des Max-Planck-Zentrums für Psychiatrie in München herausgearbeitet, dass Schizophrenie und frontotemporale Demenz auf einem ähnlichen Symptomspektrum zu liegen scheinen", fasst sie zusammen. 

Sandra Sinsch wurde während ihres Studiums von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Nach ihrer langjährigen akademischen Tätigkeit an der Istanbul Technical University arbeitet sie seit August 2021 im Maßregelvollzug Uchtspringe. Als Oboistin gastierte sie auf internationalen Festivals und ist auf zahlreichen CD's zu hören - eine davon wurde mit dem Echo Klassik ausgezeichnet. Daneben hat sie eine Leidenschaft für Harfen aller Art und Nachbauten altgriechischer Leiern.