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Hilfe für seelisch verletzte Flüchtlingskinder im Landkreis Wittenberg

Ein Portrait eines Flüchtlingsjungen

Lutherstadt Wittenberg. Das im Landkreis Wittenberg eingerichtete Projekt der angeleiteten Laienhilfe für Flüchtlingskinder mit seelischen Verletzungen  entwickelt sich positiv. Bislang haben 80 engagierte Menschen die jeweils zweitägigen Wochenendkurse  absolviert, um sich Grundlagenwissen über kriegs– und fluchtbedingte Traumatisierungen sowie therapeutische Hilfsmöglichkeiten anzueignen. Viele von ihnen sind nunmehr auch in den praktischen Abschnitt des Curriculums eingestiegen. Er beinhaltet die gruppentherapeutische Begleitung von vorerst 20 Mädchen und Jungen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren, die schreckliches Erleben verarbeiten müssen. Die so genannten Traumagruppen finden seit Ende Januar 2017 statt.

Detaillierte Informationen und Erfahrungen: 
Im November 2016 wurden an der Salus-Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Wittenberg zwei Wochenendkurse für Traumahelfer veranstaltet. Insgesamt nahmen daran etwa 50 engagierte Menschen – von der 16jährigen Gymnasiastin bis zur 70jährigen Rentnerin – mit großem Erfolg teil. Aufgrund der großen Nachfrage fand im März 2017 ein drittes Seminar mit 30 Teilnehmern statt.

Das Ziel war der Erwerb von spezialisiertem Wissen über die psychischen Folgen von Stress durch Krieg, Flucht und Gewalt, insbesondere für Kinder und Jugendliche aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Somalia, Eritrea und anderen. Die TeilnehmerInnen der Wochenendseminare übten aber auch selbst, wie sich Stabilisierungs- und Entspannungstechniken auf die eigene Seele und auf körperliche Reaktionen auswirken, lernten die Sandspieltherapie und die „Narrative Traumaexposition“ kennen und sprachen über ihre persönlichen Ressourcen im Umgang mit belastenden Konflikten. Das wissenschaftlich überprüfte Konzept der Ausbildung stammt von Prof. Thomas Loew und Beate Leinberger von der Universität Regensburg. Es wird in Wittenberg vom Kinder- und Jugendpsychiater Joachim Perlberg gemeinsam mit Kaya Bruchhäuser, Erzieherin und Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Traumatherapeutin, angeboten.

Knapp die Hälfte der KursteilnehmerInnen hat sich bereit erklärt, nun in einem zweiten Abschnitt dieser Ausbildung als ehrenamtliche Traumahelfer Kindern und Jugendlichen mit schweren traumatischen Erlebnissen ganz konkret in einer Gruppentherapie zur Seite zu stehen. Seit Ende Januar 2017 finden deshalb sogenannte Traumagruppen in der Tagesklinik statt – getrennt nach Jungen und Mädchen. Hier werden in einer festen Abfolge über gemeinsames Singen, Malen, das Erlernen von Entspannungstechniken und Stabilisierungsübungen sowie das Praktizieren der oben genannten Sandspieltherapie und der Narrativen Traumaexposition die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die erlebten Gewalttaten, die Angst und seelische Überforderung nicht mehr zu unkontrollierter Überflutung mit Stress bei den Betroffenen führen. Vielmehr bekommen sie im Lauf von 10 Stunden Gruppentherapie mehr und mehr die Möglichkeit, sich vom Erlebten zu distanzieren und durch „bilaterale Stimulation“ des Gehirns eine bessere Verarbeitung der oft unvorstellbar schrecklichen Situationen zu erreichen. Wie bei den TeilnehmerInnen der Traumagruppen in Regensburg, erwarten die Therapeuten auch in Wittenberg einen deutlichen Rückgang der belastenden Symptome und Verhaltensprobleme bei den Kindern, die von Schlafstörungen und Ängsten über aggressives Verhalten bis zu schweren depressiven Zuständen und Suizidgedanken reichen.

Die Erfahrungen der ersten Gruppenstunden sind ausgesprochen positiv – die Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren lassen sich voller Ernsthaftigkeit und Vertrauen auf die Angebote ein und entwickeln bereits ein Gefühl des Zusammengehörens. Die Szenen aus ihrem Leben, die sie im Sandspiel oder beim Legen ihrer „Lebenslinie“ mit Steinen und Blumen andeuten, sind oft genug von erschütternder Klarheit und lassen das Ausmaß ihrer seelischen Wunden erahnen. „Heilung“ ist nicht das Ziel, aber das Angebot von Respekt ihrem Leiden gegenüber, von Zeugenschaft und dem Beginn eines langfristigen Veränderungsprozesses. Die TraumaHelfer übernehmen dabei die Funktion des persönlichen Gegenübers für das Kind, helfen ihm beim Erlernen der Übungen und dokumentieren die Entwicklungsschritte respektvoll durch ihre Aufmerksamkeit, durch Aufzeichnungen, Fotos und das Anlegen einer Dokumentationsmappe. So gehen die Eindrücke der Traumagruppe später nicht in den alltäglichen Erfahrungen der neuen Lebenswelt in Deutschland verloren. Vielmehr gehen die beiden Gruppenleiter davon aus, dass es den jungen Menschen nach Absolvieren der insgesamt 10 Traumagruppen besser gelingt, mit den unvermeidlichen Stressbelastungen des Alltags auch in Deutschland umzugehen und nicht immer wieder von qualvollen Erinnerungen an erlebtes Leid gepeinigt zu werden. So sollen auch ihre Chancen auf eine positive Integration deutlich verbessert werden. Das Ausbildungs-Curriculum wird übrigens durch eine Förderung der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Sachsen-Anhalt (Lagfa) unterstützt.

Der Initiator der Methode „TraumaHelfer“, Professor Thomas Loew aus Regensburg, wird am Dienstag, dem 25. April, um 18.00 Uhr einen Vortrag zu dieser Methode in der Evangelischen Akademie Wittenberg halten. Für Ende Juni und Anfang Juli 2017 sind zwei „Sommercamps“ geplant, in denen wieder nach Jungen und Mädchen getrennt in kompakter Form die Angebote der Traumagruppen mit einer therapeutischen Mensch-Tier-Begegnung gekoppelt werden. Ob es darüber hinaus noch weitere Traumagruppen für Kinder und Jugendliche aus Kriegs- und Krisengebieten oder auch aus dem eigenen Land geben wird, hängt von der Nachfrage ab. Die bisher gemachten Erfahrungen sind außerordentlich ermutigend.