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Offenes Ohr für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen

Ein kleiner Junge fässt sich an die Ohren, um besser zu hören.

Erfahrungen bei der Behandlung hörgeschädigter Mädchen und Jungen mit psychischen Störungen standen am 31. Januar 2017 auf dem Programm eines Fachdialogs im Gesellschaftshaus Uchtspringe. Unter dem Leitmotiv „Offenes Ohr“ wurde die Thematik in Vorträgen, Diskussionen und Workshops aus dem Blickfeld verschiedener Professionen beleuchtet. An dem Austausch zwischen Akteuren der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Hörgeschädigtenpädagogik nahmen über 70 Fachleute aus dem gesamten Bundesgebiet teil. Hintergrund ist, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie Uchtspringe als einzige in Deutschland auf die Behandlung psychischer Störungen bei gehörlosen und schwerhörigen Patienten spezialisiert ist. Demzufolge werden hier auch Kinder aus weiter entfernten Bundesländern aufgenommen und therapiert.

„Hörgeschädigte Kinder und Jugendliche stehen in ihrer Entwicklung, insbesondere beim Spracherwerb, vor großen Herausforderungen“, erklärt Dr. Beate Schell, Chefärztin der gastgebenden Uchtspringer Klinik I für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Diese nehmen im Zeitalter der Inklusion, wo eine intensive Kommunikation mit Menschen ohne Handikap eingefordert wird, tendenziell noch zu.“ Bei aller Unterstützung, die z.B. durch verbesserte Hörgerätetechnik, moderne Kommunikationsanlagen oder das Cochlea-Implantat heute möglich sei, zeige die Erfahrung: „Ein hörgeschädigtes Kind hat es im Alltag schwer. Es muss  sich zum Beispiel in der Regelschule mehr als die Anderen anstrengen, um dem Unterricht zu folgen und einen guten Draht zu den Klassenkameraden zu finden. Die Abteilungsleitende Ärztin Britta Wehrmann, die das Uchtspringer Zentrum für Psychiatrie/Psychotherapie mit hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen leitet, erläutert die damit verbundenen Probleme: „Manche leiden unter ihrem Anderssein, ziehen sich zurück oder versuchen, ihre Hörschädigung zu verbergen. Insgesamt ist das Risiko für Verhaltensstörungen und psychische Erkrankungen erhöht“, verweist die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie auf mögliche Folgen, die sich zum Beispiel in Form von depressiven Symptomen oder Aggressivität gegenüber Familie, Mitschülern, Lehrern und Erziehern zeigen können. Um betroffenen Kindern wirksam helfen zu können, seien umfassende Kenntnisse über die Entwicklungsbesonderheiten und eine enges Miteinander verschiedener Berufsgruppen erforderlich. Diesem Anspruch folge das spezifische Behandlungskonzept, das im Uchtspringer Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit hörgeschädigten Patienten angewandt wird.

Zur Vorgeschichte und zum heutigen Konzept:
Im ehemaligen Bezirkskrankenhaus Uchtspringe wurde 1968 begonnen, mit gehörlosen, von Mehrfachbehinderungen betroffenen Kinder zu arbeiten. Es war die einzige Einrichtung der DDR, in der diese Mädchen und Jungen aufgenommen, gefördert und gebildet wurden, obwohl sie staatlicherseits als  „schulbildungsunfähig“ galten. An dieses Reservoir an Wissen und Erfahrung konnte nach der Wende angeknüpft werden.  Die Uchtspringer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie entwickelte sich zur bundesweit einzigen Einrichtung dieser Art – 1993 wurde hier das „Deutsche Zentrum für Psychiatrie/Psychotherapie mit hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen“ gegründet.

Das heutige Gesamtkonzept des Hörgeschädigtenzentrums ist integrativ ausgerichtet und verhaltenstherapeutisch orientiert.  Je nach Störungsbild oder Erkrankung kommen auch tiefenpsychologische und systemisch-familientherapeutische Verfahren zum Einsatz. Die hörgeschädigten Patienten leben mit den Hörenden in gemischten Gruppen auf der Station, erfahren neben intensiver Einzel- und Kleinstgruppenbetreuung auch Therapien in Gemeinschaft mit hörenden Kindern. Das erweist sich in der Praxis als hilfreich für alle, weil Fähigkeiten für ein gutes soziales Miteinander trainiert werden. Die an der Behandlung beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beherrschen sprachbegleitende Gebärden - eine Ausdrucksform, mit der sich sehr differenziert und facettenreich verständigt werden kann. Im täglichen Umgang lernen oft auch die hörenden Patienten erstaunlich schnell die Gebärdensprache.

Zum Deutschen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie mit hörgeschädigten Mädchen und Jungen